Freitag, 8. Februar 2013

Vorstellungsgespräch bei einer Unternehmensberatung



Ich wollte einfach herausfinden, ob es wirklich klappen könnte. Schon seit Jahren wurde ich immer wieder von den "Consultern" angesprochen. Sie waren auf allen Veranstaltungen der Stiftung, von der ich gefördert wurde, vertreten. Mc Kinsey war natürlich auch dabei, aber mir gefiel ein kleines Unternehmen mit 50 Angestellten. Der eine Typ am Stand war mir zwar nicht sympathisch, aber als ich wieder zu Hause war, bewarb ich mich. Kurze Zeit später wurde ich zum Vorstellungsgespräch nach Berlin eingeladen.
Allein die Reise war schon aufregend. Die einzige wirkliche Großstadt Deutschlands. Hinzu kam, dass ich trotz meines Geschichts-und Sprachstudiums einen Multimediavortrag über Bayer Leverkusen vorbereitet hatte. Meine Magisterarbeit sollte ich am Clip-Chart präsentieren. Beides auf Englisch. Bis zur letzten Minute habe ich Vokabeln gebüffelt.
Die Begrüßung war wie erwartet sehr gestelzt. Den Anzug hatte ich mir nur geliehen. Meine Gesprächspartner waren höflich aber bestimmend. Die Vortäge liefen überraschend gut. Wobei an meinem Vortrag über Bayer Leverkusen kritisiert wurde, dass ich den Stellenwert der Unternehmenszusammenführung nicht genügend betont hätte. Damit würden sie sich bei ihrer Arbeit vorrangig beschäftigen. Den Vortrag über die Magisterarbeit fand der ältere der beiden Consulter, die mir an einem Tisch gegenübersaßen, "sehr interessant". Den jüngeren Kollegen erkannte ich sofort als den unsympathischen Typ vom Stiftungsstand wieder.
Nach den beiden fünfminütigen Vortragen wurde ich über eine Stunde in die Mangel genommen. Erst redeten sie um den heißen Brei, dann fragte mich der Ältere, ob ich trotz meines "sozialen Lebenslaufes" in der Lage wäre, Unternehmen auch diahingehend zu beraten, dass sie ihre Leute entlassen würden.
Man könnte diesen Artikel auch als meine späte Rache an der Consultingfirma interpretieren. Das ist sie bestimmt auch. Ich würde lügen, würde ich das Gegenteil behaupten. Es schmerzt schon, wenn man nach einem Vorstellungsgespräch abgelehnt wird.
An diesem Tag hätte ich bestimmt das unverschähmt hohe Einstiegsgehalt, die Dienstreisen und die Unternehmenszusammenführung akzeptiert. Dann würde ich jetzt aber nicht hier sitzen und diesen Artikel schreiben. Ich hätte auch nicht gerade eine Stadtführung zum Thema Muslime gemacht und einen Vortrag über Evo Morales vorbereitet.
Auf die Fragen bezüglich der Bereitschaft, Angestellte zu entlassen, habe ich geantwortet, dass ich Kündigungen "als einen ganz normalen Bestandteil der Mitarbeiterführung" betrachte. Ich hätte an diesem Tag alle gekündigt, um den Job zu bekommen.

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