Ich wollte einfach herausfinden, ob es wirklich klappen
könnte. Schon seit Jahren wurde ich immer wieder von den "Consultern"
angesprochen. Sie waren auf allen Veranstaltungen der Stiftung, von der ich
gefördert wurde, vertreten. Mc Kinsey war natürlich auch dabei, aber mir gefiel
ein kleines Unternehmen mit 50 Angestellten. Der eine Typ am Stand war mir zwar
nicht sympathisch, aber als ich wieder zu Hause war, bewarb ich mich. Kurze
Zeit später wurde ich zum Vorstellungsgespräch nach Berlin eingeladen.
Allein die Reise war schon aufregend. Die einzige wirkliche
Großstadt Deutschlands. Hinzu kam, dass ich trotz meines Geschichts-und
Sprachstudiums einen Multimediavortrag über Bayer Leverkusen vorbereitet hatte.
Meine Magisterarbeit sollte ich am Clip-Chart präsentieren. Beides auf
Englisch. Bis zur letzten Minute habe ich Vokabeln gebüffelt.
Die Begrüßung war wie erwartet sehr gestelzt. Den Anzug
hatte ich mir nur geliehen. Meine Gesprächspartner waren höflich aber
bestimmend. Die Vortäge liefen überraschend gut. Wobei an meinem Vortrag über
Bayer Leverkusen kritisiert wurde, dass ich den Stellenwert der
Unternehmenszusammenführung nicht genügend betont hätte. Damit würden sie sich
bei ihrer Arbeit vorrangig beschäftigen. Den Vortrag über die Magisterarbeit fand
der ältere der beiden Consulter, die mir an einem Tisch gegenübersaßen,
"sehr interessant". Den jüngeren Kollegen erkannte ich sofort als den
unsympathischen Typ vom Stiftungsstand wieder.
Nach den beiden fünfminütigen Vortragen wurde ich über eine
Stunde in die Mangel genommen. Erst redeten sie um den heißen Brei, dann fragte
mich der Ältere, ob ich trotz meines "sozialen Lebenslaufes" in der
Lage wäre, Unternehmen auch diahingehend zu beraten, dass sie ihre Leute
entlassen würden.
Man könnte diesen Artikel auch als meine späte Rache an der
Consultingfirma interpretieren. Das ist sie bestimmt auch. Ich würde lügen,
würde ich das Gegenteil behaupten. Es schmerzt schon, wenn man nach einem
Vorstellungsgespräch abgelehnt wird.
An diesem Tag hätte ich bestimmt das unverschähmt hohe
Einstiegsgehalt, die Dienstreisen und die Unternehmenszusammenführung
akzeptiert. Dann würde ich jetzt aber nicht hier sitzen und diesen Artikel
schreiben. Ich hätte auch nicht gerade eine Stadtführung zum Thema Muslime
gemacht und einen Vortrag über Evo Morales vorbereitet.
Auf die Fragen bezüglich der Bereitschaft, Angestellte zu
entlassen, habe ich geantwortet, dass ich Kündigungen "als einen ganz
normalen Bestandteil der Mitarbeiterführung" betrachte. Ich hätte an
diesem Tag alle gekündigt, um den Job zu bekommen.
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