Eduard IV., englischer König von 1461 bis 1483, hatte ein Problem. Der von ihm geführte Clan des Hauses York musste im Kampf mit dem Haus Lancaster um den englischen Thron Niederlagen einstecken. Da kam die latente Feindschaft mit den Kaufleuten der Hanse gerade Recht. Um die Londoner Bevölkerung, schon damals die Einwohner der wichtigsten Metropole des Inselstaates, auf seine Seite zu ziehen ließ er sie die Kontore der Hamburger und Kölner Händler plündern. Damit begann der Krieg zwischen der Hanse und der Englischen Krone, der erst 1474 enden sollte.
Eduard IV. ließ einen seiner Brüder in einem Weinfass ertränken. Ein anderer seiner Brüder, der spätere König Richard III., soll nicht minder grausam gewesen. In Shakespeares gleichnamigen Drama läßt er die Söhne seines verstorbenen Bruders mit einem Kissen ersticken. Der Macht der Hanse konnten jedoch beide nichts entgegensetzen. Der Städtebund nutzte die Schwäche der europäischen Zentralregierungen im Mittelalter aus, um ein autonomes Imperium an den Küsten der Nord- und Ostesee zu etablieren. Jede versuchte Einschränkung ihrer Handelsprivilegien beantwortete die Hanse mit Krieg.
Im Verlauf der kleineren und größeren Auseinandersetzungen wurde die englische Ostküste durch die Kaperfahrten nordeuropäischer Händler verwüstet. Am Ende konnte die Hanse den eglischen König sogar zwingen, einen Teil des Londoner Hafens in Beschlag zu nehmen, um dort ihren wichtigsten Umschlagplatz westlich der flandrischen Küste zu etablieren - den Steelyard (Dt.: Der Stalhof).
Der Stalhof zu London auf einer Handzeichnung aus dem 18 Jahrhundert, Foto: universos-mercatores.de |
Der Stalhof ist den
Hansehändlern Heimat in der Fremde, Geschäftssitz und Festung. Hohe Mauern
umschließen das 4000 Quadratmeter große Gelände, durch das einige Gassen zum
Fluss führen. Männer bringen gelöschte Güter auf Schubkarren zu den Speichern
und Lagehäusern, lassen sie auf Rutschen in Keller gleiten oder ziehen sie an
Kranbalken hinauf unter das Dach. Das Grundstück ist dicht bebaut mit Reihen
meist zweistöckiger Häuser.
Im Erdgeschoss liegen
Geschäfte, Lager und Schreibstuben, in den Kammern drüber wohnen die Händler
mit ihren Gesellen. Manche Räume werden schon seit Generationen von der
gleichen Kaufmannsfamilie genutzt. Sie sind oft luxuriöse eingerichtet, etwa
mit Glasfenstern. Um die Auslastung des Konters und damit die nötigen
Mieteinnahmen zu gewährleisten, sind die Hansekaufleute angehalten, sich nur
dann ein anderes Quartier zu suchen, wenn sie im Stalhof keinen Platz mehr
finden.
Der Kontorvorstand, der
aus einem Ältermann, zwei Beisitzern und einem Rat aus Kaufleuten besteht, wird
von allen jeweils am Neujahresabend anwesenden Händeln gewählt. Er bestimmt,
wann die Bewohner im Haus sein müssen, wann sie essen und welche Gäste sie
mitbringen dürfen. Dem Vorstand zur Seite steht ein Sekretär, der oft schon
seit Jahrzehnten im Stalhof lebt und London nur verläßt, wenn das Kontor ihn zu
einem Treffen der Hansestädte entsendete.
Die soziale Kontrolle ist
streng, doch dafür führen die hanseatischen Kaufleute und ihre Familien ein für
damalige Verhältnisse angenehmes Leben: Waschfrauen, Köche, Gärtner und
Dreckfeger kümmern sich um ihr Wohl. Sollten sie verklagt werden, bezahlt ihnen
der Stalhof einen englischen Anwalt. Die Einheimischen wissen, wie wichtig die Fremden
für die Wirtschaft sind, denn die Hansekaufleute füllen die Lager mit Fleisch,
Fisch, Holz, Fellen, Bienenwachs, Wein und ganz wichtig – englischem Tuch.
Der Stalhof, diese Vorform
einer Kolonie auf englischem Boden, war so lange bedeutend, wie die englischen
Könige und damit der englische Staat schwach war. Mit der Begründung der
Dynastie Tudor endete diese für die Hanse günstige Epoche zur Einflussnahme auf
Politik und Wirtschaft. 1598 ließ Königin Elisabeth die hanseatischen Kaufleute
erstmals ausweisen. Die alten Privilegien wurden nach ihrer Rückkehr nicht mehr
bestätigt. Als der Stalhof 1853 geschlossen wurde, war er längst ein Schatten
seiner vormaligen Bedeutung für die europäische Wirtschaft geworden.
Quellen: geo.de
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