Montag, 19. November 2012

Im Altenheim



Eine Dame ist mir in Erinnerung geblieben. Sie ist total niedlich und extrem durcheinander. Ich mag es, neben ihr zu sitzen, oft sogar kniend und ihre Hand zu halten. Diese kleine Hand. Und dann mache ich einen Witz oder singe mit ihr ein Lied. In ihrer Jugend ist sie viel gewandert. Ich als Jungspund kenne natürlich nicht alle Wanderlieder, aber an die Zeile „Bis er kommt nach Innsbruck rein, Wo man trinkt Tiroler Wein“ konnte ich mich noch gut erinnern. Die Dame kommt aus Tirol. Wir haben uns sofort verstanden. Jedes Mal wenn ich sie morgens wecke, glaubt sie, mich wiederzuerkennen. Doch bringt sie in ihrer Erinnerung alles durcheinander. Einmal meinte sie, in mir jemanden wiederzuerkennen, der mit ihr damals eine Wandertour zu den traditionellen Kirchen in der Nähe von Bozen gemacht hat.  Es besteht immer die Gefahr, sie zu verunsichern oder sogar zu ängstigen. Das passiert immer dann, wenn man zu schnell mit ihr redet oder sie nicht bei allen Dingen, die sie macht, begleitet und regelmäßig nach ihr sieht. Sie braucht Zuneigung. Nicht jeder Mensch braucht das. Einige Damen und Herren, so glaube ich, wollen nicht, dass man sich fortwährend bei ihnen im Zimmer aufhält. Sie wollen den Standard-Talk während des Eincremens und Anziehens. Mehr jedoch nicht.  Aber die Dame, von der ich hier spreche, braucht Zuneigung. Sonst verliert sie das Gleichgewicht, physisch und psychisch. Nur Zärtlichkeit kann ihr helfen, nicht ängstlich auf ihrem Bett zu sitzen und zu versuchen, ihre Sachen einzupacken. Zuneigung kann ihr helfen, sich zu den anderen Damen an den Tisch zu setzen, wo man ihr beim Essen helfen sollte, auch wenn sie es eigentlich alleine kann – nur um sich mit ihr über das schöne Südtirol zu unterhalten.

Weitere Berichte eines Krankenpflegers aus einem Altenheim findet Ihr in Zukunft unter

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